Mit dem negativen Entscheid (BREXIT, 51.9 %) der britischen Bevölkerung zum Referendum über den Verbleib in der EU vom 23. Juni 2016, stellen sich einmal mehr grundsätzliche Fragen zum Verhältnis zur EU.
Die Europa Skeptiker jubilieren und träumen von der Auflösung der Europäischen Union. Sie versprechen sich davon die Rückgewinnung nationalstaatlicher Souveränität.
Die EU-Befürworter trauern um den Ausstieg einer wesentlichen Wirtschaftsmacht innerhalb Europas und bangen um das friedenssichernde Projekt.
Doch wer hat recht?
Der Deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte einst: ‚ Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.‘
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns nur richtig entscheiden können, wenn wir bereit sind, von und aus der Geschichte Lehren zu ziehen.
Geschichtlicher Hintergrund
Die Jahre 1870 bis 1945 waren geprägt von 3 verheerenden Kriegen, in denen sich Deutschland und Frankreich als Erbfeinde gegenüberstanden.
In Frankreich machte man sich Gedanken darüber, wie künftig der innereuropäische Frieden gesichert werden könnte. Man kam zur Erkenntnis, dass durch eine Vernetzung (‚Vergemeinschaftung‘) der militärisch relevanten Wirtschaftssektoren ein neuer Krieg zwischen den früheren Gegnern unmöglich gemacht und in der Folge auch die politische Annäherung und dauerhafte Versöhnung der beteiligten Staaten erreicht werden sollte.
Auf Initiative des französischen Aussenministers Robert Schuman wurde dem deutschen Kanzler Konrad Adenauer der Vorschlag einer gemeinsamen Kontrolle der Montanindustrie der Mitgliedstaaten ohne Zoll unterbreitet. Dazu war die Schaffung einer ‚Hohen Behörde‘ vorgesehen, die im Bereich der Montanindustrie, also der Kohle- und Stahlproduktion, gemeinsame Regelungen für alle Mitgliedstaaten treffen konnte.
Deutschland, dessen Stahlindustrie im Saarland und im Ruhrgebiet nach dem letzten Krieg darniederlag, sah darin eine Chance, sich von den Kriegsfolgen zu erholen, und stimmte dem Vorschlag zu.
Am 18. April 1951 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, oft auch Montanunion genannt) durch den Vertrag von Paris durch die Mitgliedstaaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und der Niederlande gegründet.
Grossbritannien lehnte den Plan ab; es hatte Angst, dass dieser Plan seine Souveränität beeinträchtigen würde.
Innerhalb der Montanunion gab es Bestrebungen zu einer
- allgemeinen wirtschaftlichen Einigung der Volkswirtschaften
- der Schaffung gemeinsamer supranationaler Institutionen
- einer Sozialharmonisierung durch Verwirklichung allgemeiner Sozialstandards
- einer Zusammenarbeit auf dem Nuklearsektor.
Die zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) und jener der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag/Euratom) führte.
Mit Ablauf des EGKS-Vertrages wurden die Vertragsinhalte der Montanunion Bestandteil der Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), einem Zusammenschluss europäischer Staaten zur Förderung der gemeinsamen Wirtschaftspolitik im Rahmen der europäischen Integration. Am 25. März 1957 wurde die EWG mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge durch die Mitgliedsstaaten der Montanunion gegründet.
Durch den am 7. Februar 1992 unterzeichneten Vertrag von Maastricht wurde die EWG angesichts ihrer mittlerweile erweiterten Aufgabenstellung in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Am 1. Dezember 2009 wurde die EG mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon aufgelöst und die Rechtspersönlichkeit an die Europäische Union (EU) übertragen.
Die Europäische Union (EU) heute
Im Zuge der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft erhielt die EU kontinuierlich mehr Kompetenzen, weshalb auch die EU-Institutionen erweitert wurden. Heute zählen zu den zentralen EU-Institutionen:
- Europäisches Parlament
- Mitgliederwahl: Volkswahl der Vertreter
- Funktion(en): Gesetzgeber (zusammen mit dem Rat der Europäischen Union) und Budgethoheit
- Äquivalent in der Schweiz: vereinigte Bundesversammlung
- Europäischer Rat
- Staats- & Regierungschefs der Mitgliedsstaaten
- legt allgemeine Ziele und Prioritäten fest
- Bundesrat
- Rat der Europäischen Union
- Minister der Mitgliedsstaaten
- Gesetzgeber (zusammen mit dem Europäischen Parlament)
- –
- Europäische Kommission
- ein Kommissar pro Land, gewählt vom Europäischen Rat
- Regierung mit Haushalts- und Vertragshoheit
- –
- Gerichtshof der Europäischen Union
- ein Richter pro Mitgliedsstaat, gewählt von den Regierungen der Mitgliedstaaten
- Rechtsstreitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten, EU-Organen, Unternehmen und Privatpersonen
- Bundesgericht
- Europäischer Rechnungshof
- ein Mitglied je Mitgliedsstaat, gewählt vom Rat der Europäischen Union
- Haushaltskontrolle
- Finanzkommission
- Europäische Zentralbank
- Direktorium wird vom Europäischen Rat ernannt
- Währungspolitik der EU
- Schweizerische Nationalbank
Mein Fazit
Die ursprüngliche Absicht, den innereuropäischen Frieden zu sichern, konnte das Projekt EU erfüllen. Die bislang 28 Mitgliedstaaten hatten in den letzten mehr als 70 Jahren keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr untereinander.
Zugestanden werden muss allerdings, dass die EU noch immer im Wesentlichen eine Wirtschaftsunion ist, wofür
- Zollfreier Handel
- Freier Verkehr der Arbeitnehmer (Personenfreizügigkeit)
- Einheitswährung EURO
beschlossen und eingeführt wurden.
Mangels einer Fiskal- und Sozial- insbesondere aber einer politischen Union fühlt sich der EU-Bürger aussen vor, weshalb er zunehmend missmutig auf ‚zentralistische Beschlüsse aus Brüssel‘ reagiert. Die Beschlüsse betreffen zwar den EU-Bürger, doch er kann dazu nichts sagen.
Ich halte die ‚Vergemeinschaftung‘ nach wie vor für das richtige Konzept gerade unter dem Gesichtspunkt einer global agierenden sehr mobilen Wirtschaft. Meines Erachtens ist es wichtig, dass der gesetzgeberische politische Wirkungsraum in etwa jenem Raum entspricht, in dem die Wirtschaft im Wesentlichen ihren Handel betreibt. Ein Europäischer Wirtschaftsraum mit völlig autonomen Nationalstaaten wird zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass sich die Staaten wirtschaftspolitisch konkurrenzieren und von der Wirtschaft gegeneinander ausgespielt werden können.
Bestes Besipiel dafür ist die Schweiz. Die Steuerhoheit liegt z.T. bei den Kantonen und Kommunen. Der Standort-Kampf ist hart und wird mit tiefen Steuersätzen, Steuerrabatten und Wirtschaftsförderung geführt. Nur mit dem Finanzausgleich zwischen den Kantonen und zwischen den Kommunen innerhalb eines Kantones kann der soziale Frieden bewahrt werden.
Dieser Finanzausgleich würde unter den autonomen Nationalstaaten innerhalb des Wirtschaftsraumes fehlen. Folge wäre Argwohn unter den Staaten und sozialer Unfriede innerhalb der Nationalstaaten. Friedensstiftend?
Der Ausstieg Grossbritanniens aus diesem Friedensprojekt sollte aber zum Anlass genommen werden, die Europäische Union grundlegend zu reformieren und sozusagen auf ‚Basisdemokratische Füsse‘ mit mehr Bürgerbeteiligung und Föderalismus analog dem Schweizer Bundesstaat zu stellen.
Ich bin überzeugt, dass dies mittelfristig geschehen kann.
Und deshalb komme ich zum Schluss:
Wer die Auflösung der Europäische Union anstrebt, setzt den innereuopäischen Frieden fahrlässig oder gar grob fahrlässig aufs Spiel!